Kopf Nr. 793 / 2016
© Ralf Lake
10. Februar 2016
Mischtechnik auf Bütten
21 x 14,8 cm

Kopf 2016 793 kl

Frankfurter Rundschau

Seehofers Stammtischgebrüll

Wer glaubt, der politische Aschermittwoch sei wirklich ausgefallen, hat sich leider getäuscht. Horst Seehofer bedient den Stammtischen mit Stichworten auch, ohne anwesend zu sein. Ein Kommentar.

Es war eine gute Idee, dass die Parteien den „Politischen Aschermittwoch“ abgesagt haben, vorneweg die CSU. Erstens verbot sich nach dem Zugunglück von Bad Aibling das Ritual: Parolengebrüll in überfüllten Sälen vor nicht weniger überfüllten Gefolgsleuten hätte noch unangemessener gewirkt als sonst. Und zweitens ist es so, dass diese Tradition ohnehin kein nüchterner Mensch mehr braucht.

Das Problem ist nur: Es hat nichts geholfen. Horst Seehofer hat den ohne ihn versammelten Stammtischen per Interview das Stichwort von der „Herrschaft des Unrechts“ geliefert, und die ständige Vertreterin des CSU-Heiligen in Berlin, Gerda Hasselfeldt, hat einen verspäteten Faschingsscherz hinterhergeschickt: Die Äußerung des Vorsitzenden sei „nicht besonders glücklich“. Tusch!

„Nicht besonders glücklich“ sind beispielsweise Menschen, die wirklich unter einer „Herrschaft des Unrechts“ leben müssen, also, sagen wir, Syrer. Und weil die Welt voller Staaten ist, in denen es vom Standpunkt des Rechts aus nicht viel besser aussieht, sollte sich ein Politiker seine Parolen für die entsprechenden Fälle sparen.

Dass Seehofer die AfD – die er ja gerade deshalb so hasst, weil sie ihm so ähnlich ist – noch zu überbieten versucht, ist ohnehin ein nicht endender Skandal. Und zwar nicht deshalb, weil es nicht wirklich Probleme mit der Einwanderung gäbe, die gibt es sehr wohl. Gäbe es sie nicht, könnte man Seehofers Geschrei vielleicht noch überhören. Aber gerade weil es Gründe zur Sorge gibt, sind Brandstifter wie er so gefährlich: Sie übertönen das Gespräch über Lösungen mit Sprüchen, die Angst und Abwehr nur noch zusätzlich schüren.

Am Aschermittwoch ist alles vorbei? Nein – leider nicht.